Thomas Lange |
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30 Jahre Resonanzlehre Liebe Musikerinnen und Musiker! Liebe KLANG-Bewegungsinteressierte! Dies sind ein paar Gedanken, die mir aus Anlass des 30-jährigen Jubiläums der Resonanzlehre durch den Kopf gehen, und die ich gerne mit Ihnen teilen möchte. Dabei erhebe ich keinen Anspruch auf Systematik oder Vollständigkeit. Ich werde verschiedene Themen beleuchten, manche Themen auch nur anreißen. Darin enthalten sind durchaus ein paar praktisch anwendbare Geschenke für Sie. Wenn Sie auf eines der 15 Kapitel klicken, erscheint dieses direkt. Inhaltsverzeichnis: Den gesamten Körper musikalisieren Das Mobiléprinzip in der musikalischen Bewegung Alexander Calder und die Mobiléstruktur des menschlichen Körpers Mobilésieren statt Mobilisieren Ganzkörperatmung und Bewegungsbalance Musikalische Bewegungskontrolle in der körperlichen Mobiléstruktur Spielerischer Geist Rom oder Timbuktu? Funktionalität beim Musizieren Faszien-Resonanz Schuhe und Füße Sich die Musik vorstellen oder die Musik fühlen Schwerkraft und Aufrichtekraft Entspannung, wie und wofür? Fünf sensorische Marker für Vertrauen Den gesamten Körper musikalisieren Als ich dieses Zitat von Francis Bacon las, dachte ich sofort, ja das ist genau das, was wir im musikalischen Bereich seit gut 30 Jahren in der Resonanzlehre praktizieren. Man braucht Technik, aber um wirklich zu musizieren, müssen alle Muskeln des Körpers in Einklang mit dem Instrument sein. Der grundsätzliche Ansatz der Resonanzlehre besteht darin, dass nicht nur die Muskeln der gelernten Instrumentaltechnik bzw. Gesangstechnik für die Klangbildung zum Einsatz kommen, sondern tatsächlich alle ca. 650 Muskeln des Körpers von Fuß bis Kopf. Hierzu gibt es einen Leitsatz aus der Resonanzlehre: "Feinste Dosierungen in der Muskulatur beim Instrumentalspiel, Singen oder Dirigieren ereignen sich in der Gesamtmuskulatur und wirken sich nur an bestimmten peripheren Stellen des Körpers, wie z.B. Händen, Fingerkuppen, Lippen, Kehlkopf, in besonderer Weise aus." Was bedeutet das nun aus der klanglichen Perspektive: Der gesamte Körper ist in Einklang mit dem Instrument? Ganz einfach: Instrument und Körper sind ein Klang, sie sind miteinander in Resonanz. Der Körper ist nicht weniger Klanginstrument als das Musikinstrument. Deswegen machen wir in der Resonanzlehre keine Körperübungen, sondern KLANG-Bewegungsübungen. Der gesamte Körper wird ein Klangbewegungskörper dadurch, wie er sich bewegt. In der Resonanz ist die Bewegung wie Klang. Das Mobiléprinzip in der musikalischen Bewegung (Alexander Calder, amerikanischer Skulpteur und Mobilékünstler, 1898-1976) Wenn man das Zitat von Calder auf das Musizieren überträgt, bedeutet das, dass man, wenn man sich im Sinne des Mobiléprinzipes bewegt, sich schon wie von selbst in einer künstlerischen Ausdruckssituation befindet, die Lebendigkeit und überraschungsmomente beinhaltet. Reichtum im musikalischen Ausdruck, Lebendigkeit der Performance und das Entstehen von spontanen überraschungsmomenten sind in der Resonanzlehre Grundannahmen für erfülltes Musizieren. Wir bewegen uns in der Resonanzlehre nach dem Mobiléprinzip, weil das Ohr über das Balanceorgan mit allen Muskeln des Körpers verbunden ist. Das Ohr bildet zusammen mit dem Gleichgewichtsorgan und allen Muskeln des Körpers unser audiomotorisches System. Darauf basieren die KLANG-Bewegungsübungen der Resonanzlehre, welche es Musikerinnen und Musikern ermöglichen eine musikalische Muskulatur zu entwickeln, welche in feinsten Dosierungen in der Lage ist, die Vielschichtigkeit des emotionalen Spektrums im Klang abzubilden. Alexander Calder und die Mobiléstruktur des menschlichen Körpers Er wollte Plastiken dynamisch beweglich machen. Alle Mobilés, die wir heute z.B. in Kinderzimmern als Spielzeug hängen sehen, gehen auf die Kunstform der Mobilés von Alexander Calder zurück, die dieser in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt hat. D.h. das Mobilé gibt es im Bewußtsein der Menschheit erst seit ca. 90 Jahren. Das ist zeitlich gesehen ein Wimpernschlag in der Evolutuionsgeschichte der menschlichen Bewegung. Calder hat an der Decke hängende und auf dem Boden stehende Mobilés kreiert. Die stehenden Mobilés entsprechen am ehesten der Mobiléstruktur des menschlichen Körpers. Den menschlichen Körper als Mobiléstruktur, d.h. als offene Drehbalancestruktur zu sehen und zu fühlen, und sowohl beim Musizieren als auch im Alltag entsprechend zu bewegen, ist sozusagen immer noch neu. Die KLANG-Bewegungsübungen der Resonanzlehre basieren auf der Mobiléstruktur bzw. Schwerpunktstruktur des menschlichen Körpers. Die meisten Menschen wissen, wo die Segmente und Gelenke des Körpers sind, nur wenige Menschen wissen, wo die Schwerpunkte bzw. Gleichgewichtspunkte des menschlichen Körpers sind. Ich veröffentliche hier erstmalig im Internet eine Skizze, die die wichtigsten Schwerpunkte des menschlichen Körpers zeigt. Auf Grund von einfacher Anschaulichkeit habe ich in dieser Skizze die Schwerpunkte der Finger und Zehen nicht eingezeichnet. Führt man die Bewegung des gesamten Körpers über den Körperschwerpunkt, und bei Bewegungen von Segmenten des Körpers diese über die entsprechenden Teilschwerpunkte, kommt die Muskulatur dadurch, wie man sich bewegt, in einen ausbalancierten Modus.
Mobilésieren statt Mobilisieren Ich wähle hier mit Absicht in diesem Text die alte deutsche, an das Französische angelehnte Schreibweise, weil durch den Akzent auf dem é auch visuell der Unterschied zwischen mobilésieren und mobilisieren leicht sichtbar wird. Der Unterschied, der in der Sprache in einem Buchstaben besteht, bedeutet praktisch umgesetzt eine komplett andere Bewegungswelt. Beim Mobilisieren geht es um die Bewegung des Körperteils, das die Bewegung ausführen soll. Beim Mobilésieren geht es zusätzlich um den gleichzeitigen Bewegungsausgleich im gesamten Körper, der gesamte Körper ist in den Bewegungsfluss mit einbezogen. Dies hat deutliche Auswirkungen auf die Freiheit des Atemflusses. Wieso atmen eigentlich so wenige MusikerInnen beim Musizieren frei fließend? Ein Grund ist, weil sie die Bewegung mobilisieren statt die Bewegung zu mobilésieren. In einem mobilésierenden Körper wird die Bewegung ungehemmt ausbalanciert, weil der notwendige Gegenhalt der Bewegung nicht im Körper stattfindet, sondern vom Boden bewirkt wird. Der Klang kann dadurch frei durch den gesamten Körper durchschwingen, was eine erstaunliche Auswirkung auf die Klangqualität hat. Ganzkörperatmung und Bewegungsbalance Der Körper ist Bewegung. Selbst im Tiefschlaf bewegt sich der Körper, weil er atmet. Auch wenn man z.B. still sitzt, ist zumindest immer eine Atembewegung im Körper. Vom Stillsitzen in der Schule, über manchmal gefordertes Ruhigsitzen beim Musizieren, bis zum stillen Sitzen in der Meditation tauchen immer wieder unorganische Konzepte von Ruhe bzw. Stille auf. Diese lassen den Körper "gefrieren" bzw. erstarren, was den freien Atemfluss und damit die Atembewegung im Körper unterbindet. Haben Sie schon mal eine schlafende Katze gesehen? Da bewegt sich ein Bereich des Körpers im Bereich des Körperzentrums besonders expansiv, um dann wieder zurück zu schwingen. Alle anderen Bereiche des Körpers bewegen sich, zur Peripherie mehr und mehr abschwächend, mit dieser Atembewegung. Das gleiche passiert bei schlafenden Säuglingen. Diese subtile Balancefunktion des Körpers ist nicht für Katzen und Babys reserviert. Sie kann glücklicherweise auch bei MusikerInnen auftauchen, z.B. wenn ein subtiles Pianissimo gespielt wird. Eine Ursache des berühmten Bogenzitterns ist angehaltene oder stockende Atmung, die gemeinsam mit unausbalancierter Gesamtkörperbewegung erscheint. Je ausbalancierter die Bewegung, um so ausbalancierter die Gesamtmuskulatur. Ausbalancierte Muskeln sind elastisch, flexibel und frei dosierbar in der erforderlichen Mischung von Spannung und Entspannung gleichzeitig. Frei fließende Atmung, als Komplementärfunktion von ausbalancierter Bewegung, gehört muskulär gesehen zur Elastizitätsfunktion aller Muskeln. Die Muskeln sind dann mit der Atmung aufatembar, z.B. auch die Muskulatur der Füße. Die Sängerin Jessye Norman sagte: "Ich atme sowieso nur mit den Fußsohlen." Ganz praktisch gesehen ist der Körperschwerpunkt gleichzeitig Initiations- und Zielbereich der Atmung, dadurch ist eine umfassende Ausbreitung der Atmung über den gesamten Körper möglich, bis in die Fingerspitzen und bis in die Fußsohlen. Musikalische Bewegungskontrolle in der körperlichen Mobiléstruktur Aber wieviel Kontrolle wird überhaupt benötigt, und welche Art von Kontrolle? Ein Mobilé ist eine selbstkontrollierende Dreh-Pendel-Balance-Struktur. Es kontrolliert sich selbst durch seine Gleichgewichtsstruktur. Gleichgewicht ganz allgemein bedeutet inhärente Kontrolle, dadurch dass sich zwei gleiche Gewichte gegenseitig ausbalancieren. Inhärent bedeutet eine Kontrolle, die schon von alleine vorhanden ist und nicht bewusst ausgeübt werden muss. Ein Mobilé hat kein Gehirn, das die Balance kontrollieren oder beobachten muss, die gesamte Struktur ist schon selbstkontrollierend angelegt. Dieses Prinzip komplett auf den menschlichen Körper übertragen bedeutet, dass eine Struktur verkörpert wird, die kaum noch durch Beobachtung kontrolliert werden muss. Für das Musizieren bedeutet das, dass der allergrößte Teil der Bewegungskontrolle entfallen kann, und somit Energie für den musikalischen Ausdruck frei wird. Kontrolle der Bewegung ist nur dann erforderlich, wenn die Balancestruktur droht auseinander zu brechen. Frei nach dem schönen Satz des Schweizer Künstlerduos Fischli/Weiss: "Am schönsten ist das Gleichgewicht kurz bevor's zusammenbricht." Kontrolle beim Musizieren ist dann nur nach dem Schäferhundprinzip erforderlich. Schäferhunde passen nie auf die gesamte Herde von z.B. 300 Schafen auf. Nur da wo die Gesamtbalance der Herde gestört ist, wenn z.B. ein paar Schafe die Herde verlassen wollen, greifen sie ein. Bei manchen MusikerInnen habe ich das Gefühl, dass sie im übertragenen Sinne permanent auf alle 300 Schafe in der Bewegung aufpassen, anstatt nur auf die 5 Schafe, die aus dem Gleichgewicht auszubrechen drohen. Je unausbalancierter die Bewegungsstruktur, um so mehr Kontrolle ist nötig. Je ausbalancierter die Bewegungsstruktur, um so weniger Kontrolle ist nötig. Spielerischer Geist Spielt man Singen oder arbeitet man Singen? Der Unterschied zeigt sich natürlich in der gesamten musikalischen Bewegungsqualität. Wenn man sich dafür entscheidet Musik zu spielen, kann eine nächste Frage auftauchen: Wenn ich Musik spielen möchte, wie soll dann der Geist sein? Die Antwort ist: spielerisch. Das betrifft die Frage, welche Art von Konzentration beim Musizieren wirksam ist. Meine Beobachtung bei vielen Musikerinnen und Musikern ist, dass oft mit einer zu angespannten Konzentration geübt und aufgetreten wird. Wenn Konzentration dazu führt, dass die Atmung nicht mehr frei fließt, dann ist sie nicht mehr wirksam. Ist die Atmung stockend oder gar angehalten, ist eine optimale Sauerstoffversorgung der peripheren Muskeln des Körpers nicht mehr gegeben, und damit die mögliche Spielqualität beeinträchtigt. Deswegen lehren wir in der Resonanzlehre offene Aufmerksamkeit und einen beweglichen, spielerischen Geist. Sicher brauchen manche Passagen beim Musizieren mehr Aufmerksamkeit als andere. Aber sie brauchen nicht mehr angestrengte Aufmerksamkeit, sondern mehr spielerische Aufmerksamkeit. Rom oder Timbuktu? Was aber, wenn man gar nicht nach Rom will? So geht es mir seit über 30 Jahren: Viele Menschen, vor allem auch solche, die sich nicht wirklich mit Resonanzlehre beschäftigen, ordnen die Resonanzlehre als ein Bewegungsverfahren, wie z.B. Feldenkrais, Alexandertechnik oder Yoga, ein. Das ist der Lauf der Dinge, es ist phantastisch und wunderbar ahnungslos. Mit der Entwicklung eines KLANG-Bewegungsverfahrens für Musikerinnen und Musiker wurde vor 30 Jahren ein neues Feld in der Musikpädagogik eröffnet. Menschen lieben es zu vergleichen und einzuordnen, und wenn es etwas Neues gibt, wird es gerne in alte Schubladen gesteckt. So kommen jede Menge unpassende Vergleiche zustande. Man kann selbstverständlich ein Auto mit einem Segelboot vergleichen. Nur, wenn man sich dann ganz praktisch im Auto auf dem Wasser befindet, fällt einem vielleicht etwas auf... Was die verschiedenen Bewegungsverfahren als ihr Ziel, ihr Rom, definieren ist so unterschiedlich, dass ein Vergleich von Bewegungsverfahren oft schon fragwürdig ist. Hier ist das Timbuktu * der Resonanzlehre: WOFüR wollen wir als Musikerinnen und Musiker Leichtigkeit, Elastizität, Geschmeidigkeit, Dosierbarkeit, Reagibilität, Bewegungsfluss, Frische, Lebendigkeit, Spontanität, Spielfreude, Klangqualität, Resonanz? Um den REICHTUM und die SPEKTRALITäT von EMOTIONEN im KLANG hörbar werden zu lassen. (* "Da die Stadt Jahrhunderte lang den legendären Ruf eines Ortes hatte, der weit weg und nahezu unerreichbar ist, geriet er in Europa unter anderem zum Synonym für einen weit entlegenen Ort, dessen reale Existenz nicht einmal belegt ist." Wikipedia) Funktionalität beim Musizieren Wenn man z.B. das Brahms Violinkonzert spielt, darf das Brahmskonzert auch funktionieren, das heißt alle Töne sollen einwandfrei und sauber erscheinen. Woran viele Musikerinnen und Musiker in Bezug auf Funktionalität scheitern, ist jedoch die Verwechselung des menschlichen Körperorganismus mit einer Maschine bzw. mit einem Uhrwerk. Das heißt, Funktionalität wird direkt durch Funktionalität angestrebt. In einem Uhrwerk ist die Ursache für die Funktionalität die Funktionalität. Die Funktionalität wird einmal eingestellt und bleibt dann immer erhalten. In einem Körperorganismus ist die Ursache für Funktionalität ein sensorisches Bewegungsgefühl, ein sensorisch gefühlter Bewegungsfluss, in der Musik immer gekoppelt mit dem Fluss der entsprechenden Klänge. Funktionalität direkt anzustreben führt beim üben von Musikstücken oft in eine Sackgasse. üben Sie Funktionalität indirekt durch das üben eines sensorischen Bewegungsflusses. Die Funktionalität ist dann die Folge des sensorischen Klang-Bewegungsflusses. Faszien-Resonanz Als ich mich etwas intensiver mit der Materie befasst habe, machte ich die interessante Entdeckung, dass ich aus Versehen vor ca. 30 Jahren schon ein wirksames Faszientraining entwickelt habe. Eine Basiseigenschaft der KLANG-Bewegungsübungen der Resonanzlehre ist, dass sie die Muskulatur in eine ausbalancierte Verfassung bringt. Da die Faszien die Muskeln direkt umhüllen, reagieren die Faszien unmittelbar auf die Ausbalanciertheit der Muskeln. Sind die Muskeln in einer ausbalancierten Verfassung, sind auch die Faszien in einer ausbalancierten Verfassung, das heißt weder zu straff noch zu locker, sondern schön medium elastisch. Die KLANG-Bewegungsübungen der Resonanzlehre haben sich als ein wirksames Faszientraining erwiesen. Bei Verklebungen, Verhärtungen oder Disbalancen in den Faszien sind insbesondere die KLANG-Bewegungsübungen in den Bodenlagen ein geeignetes Mittel. Faszien reagieren darauf, wie wir uns bewegen. Ausbalancierte Bewegung bringt ausbalancierte Faszien. Wenn Sie möchten, dürfen Sie das gerne ausprobieren. Schuhe und Füße Selbstverständlich soll jede und jeder auf der Bühne tragen, was sie oder er möchte. Aus der Sicht einer musikalischen Muskulatur ist das Tragen von hochhackigen Schuhen jedoch im Prinzip unmusikalisch. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich meine nicht, dass Künstlerinnen, die hochhackige Schuhe tragen, generell unmusikalisch sind. Ich meine, dass ihr Gebrauch der Füße und Unterschenkel unmusikalisch ist. Der musikalische Muskel ist ausbalanciert und elastisch und vor allem in der Elastizität dosierbar. Hochhackige Schuhe verhindern diese musikalisch-muskulären Qualitäten. Die Füße geraten in Disbalance, die Auflagefläche am Boden wird minimiert und dadurch die Schwingungsübertragung des Körpers zum Boden stark eingeschränkt. Die Bewegungsfreiheit der Zehen wird gequetscht, der gesamte Fuß verzogen. Außerdem bekommen die Unterschenkel bzw. die Waden eine viel zu hohe Spannung, die sich letztlich auch in der Gesamtmuskulatur des Körpers wiederspiegelt. All das führt, egal auf welchem Niveau gespielt wird, auch wenn es sich um noch so berühmte Solistinnen handelt, zu Einschränkungen in der Klangqualität. Dann höre ich manchmal Argumente, wie z.B.: "Ich fühle mich besser und weiblicher, wenn ich hochhackige Schuhe auf der Bühne anziehe." Dem kann und möchte ich dann auch nicht widersprechen, weil, wie sich jemand fühlt, ist seine bzw. ihre Sache. Ich frage mich nur: Was ist wichtiger beim Musizieren, sich musikalisch oder weiblich zu fühlen? Vielleicht geht auch beides zusammen? Und braucht es dafür hochhackige Schuhe? Für mich ganz privat gehört zur weiblichen Attraktivität die Art und Weise, wie eine Frau sich bewegt. In der Resonanzlehre betrachten wir alle Muskeln des Körpers in Hinblick auf ihre klanglichen und musikalischen Möglichkeiten, auch die Füße. Wer ein paar Mal die Fuß- und Zehenübungen der Resonanzlehre durchgeführt hat, wird merken, wie lebendig, frei und differenziert sich Füße anfühlen können. Wer das einmal gespürt hat, dem wird ziemlich schnell klar, wie absurd der Gebrauch von hochhackigen Schuhen beim Musizieren ist. Um es klar zu sagen, der musikalischste Schuh ist der Barfuß, dann der Strumpf, dann der Barfußschuh, dann der elegante flache Schuh. Mit etwas Geduld kann man, wenn man möchte, sehr elegante flache Schuhe finden. Und es gibt auch Künstlerinnen, die hier ganz konsequent sind und barfuß auftreten, wie z.B. die Geigerin Patricia Kopatchinskaja. Entscheiden Sie selbst, wie musikalisch Sie Ihre Füße gebrauchen möchten. Sich die Musik vorstellen oder die Musik fühlen Wenn Sie die Musik spielen wollen, wie Sie sich die Musik vorstellen, gibt es im Prinzip nur eine "gute" Möglichkeit, und alle anderen Möglichkeiten werden leicht als Scheitern ausgelegt. Wenn Sie die Musik spielen, wie Sie die Musik fühlen, gibt es viele "gute" Möglichkeiten, und dadurch weniger Möglichkeiten zu scheitern. Das musikalische Gefühl ist immer umfassender als die musikalische Vorstellung. Wie Sie die Musik fühlen, enthält von alleine Ihre Vorstellungen über die Musik. Umgekehrt kann Ihre musikalische Vorstellung nur einen Bruchteil Ihres möglichen Gefühlsspektrums erfassen. Wenn Sie die Musik spielen, wie Sie sie fühlen, ist die Musik immer frisch und lebendig, weil ein Gefühl immer aktuell ist. Wenn Sie die Musik spielen, wie Sie sich die Musik vorstellen, können Sie nicht den Klang hören, wie er am Ohr erscheint, weil Sie mit der Aufmerksamkeit ständig zwischen Vorstellung und Echtzeitklang hin- und herwechseln müssen. Dadurch wird die "Steuerung" des Musizierens gestört. Wenn Sie die Musik spielen, wie Sie sie fühlen, können Sie immer den Echtzeitklang hören, wie er ans Ohr kommt, weil musikalisches Gefühl und sensorisches Klang-Bewegungs-Gefühl eine Sache sind. Dadurch befindet man sich wie von selbst inmitten des "Steuerungsbereiches", der die Freiheit in der spontanen Gestaltung der Musik ermöglicht: Klänge wie sie ans Ohr kommen. Eine Vorstellung, auch Ihre beste mögliche Vorstellung, ist nie die Musik selbst, sondern immer nur eine Wenn Sie die Musik spielen, wie Sie sie fühlen, befinden sie sich inmitten der Musik. Schwerkraft und Aufrichtekraft Die Schwerkraft drückt den Körper nicht Richtung Boden, sondern durchdringt den Körper Richtung Boden. Wenn die Schwerkraft zu Boden drücken würde, könnte kein Grashalm senkrecht stehen. Erlauben Sie, dass die Schwerkraft den gesamten Körper von oben nach unten durchdringt. Wenn das der Fall ist, wird wie von selbst das Körpergewicht an den Boden abgegeben. Dann steigt (entsprechend des Körpergewichtes) die Erdkraft bzw. Aufrichtekraft in der Gegenrichtung nach oben. Schwerkraft und Aufrichtekraft sind beides Durchdringungskräfte, die gleichzeitig als gegenläufige Kräfte in der senkrechten Richtung wirksam sind. Für den Verstand ist das manchmal schwer nachzuvollziehen, weil gerne gedacht wird, entweder geht es nach unten oder nach oben. Es passiert aber beides gleichzeitig. Schwerkraft und Aufrichtekraft sind gemeinsam synergetische Faktoren in der Bewegung. Das Zusammenspiel von Schwerkraft und Aufrichtekraft ermöglicht eine leichte und freie Bewegungsbalance. Entspannung, wie und wofür? Deswegen entspannt sich ein und derselbe Muskel im Stehen anders als im Liegen, d.h. vom Muskel aus gesehen in eine andere (!) Richtung. Die Aufgabe von muskulärer Entspannung für das Musizieren liegt nicht darin, dass man entspannt musizieren kann, sondern dass man in der Bewegung frei über Spannung und Entspannung gleichzeitig in stufenlos dosierbaren Mischungen verfügt. Es gilt allerdings die Regel: Je tiefer sich die Muskeln entspannen können, um so differenzierbarer ist die Dosierung in der Mischung von Spannung und Entspannung für die musikalische Bewegung. Der eigentliche Sinn von Entspannung für das Musizieren ist Spannungsdosierung und Bewegungsdifferenzierung. Fünf sensorische Marker für Vertrauen Die meisten MusikerInnen suchen allerdings nach Selbstvertrauen, was eine gefährliche Angelegenheit sein kann. Spielen sie ein paar falsche oder unsaubere Töne, ist das Selbstvertrauen gleich schon wieder gestört. Der Unterschied zwischen Selbstvertrauen und Vertrauen besteht darin, dass Selbstvertrauen in die Illusion eines Ich bzw. Selbst vertraut, während Vertrauen einen wirksamen und vertrauenbildenden Umgang mit der Umgebung darstellt. Vertrauen ist ein sensorisches Gefühlsspektrum, und nicht, wie oft angenommen wird, eine psychische Stabilität, die man hat oder nicht hat. Es gibt 5 elementare sensorische Marker für Vertrauen... 1. Variabler Kontakt mit dem Boden: Das Vertrauen liegt im Stehen zwischen den Fußsohlen und dem Boden, im Sitzen noch zusätzlich zwischen dem Hintern und dem Stuhl. Es ist das sensorische Gefühl, dass der Boden den gesamten Körper trägt, jeder (!) Muskel des Körpers wird vom Boden gehalten. Deswegen brauchen Sie sich nicht an ihrem Körper festzuhalten. Wenn das passiert, blockieren sie die mögliche freie Bewegungsbalance des Körpers. Als sensorisches Gefühl ist Bodenkontakt nicht ein Gefühl, das Sie haben und besitzen können. Vertrauen ist ein variables sensorisches Gefühlsspektrum, welches sich immer wieder neu in der Bewegungsbalance in Kontakt mit dem jeweiligen Boden ereignet. Vertrauen ist im wahrsten Sinn des Wortes fundamental. 2. Multidimensionale Offenheit in der Bewegung: Wenn ich mich in jede Richtung bewegen kann, in jede Richtung mit der Bewegung ausweichen kann und den Körper in jede Richtung ausbalancieren kann, dann entsteht offenes Vertrauen. Multidimensionalität kann folgendermaßen verstanden werden: Stellen Sie sich eine große Kugel rund um den Körper vor, deren Zentrum sich im Körperschwerpunkt befindet. Die Kugel repräsentiert die Offenheit in alle Richtungen gleichzeitig, und die Offenheit in der variablen Mischung aller möglichen Bewegungsrichtungen. 3. Offene Reversibilität: Reversibilität bedeutet das sensorische Bewegungsgefühl, dass Sie jede Bewegung, egal in welcher Phase der Bewegung Sie sich befinden, umkehren und zurücknehmen können. Offene Reversibilität bedeutet, dass Sie, zusätzlich zur Umkehrung der Bewegung, währenddessen in jede andere mögliche Richtung abbiegen und, unter Umständen, eine Neuausrichtung der Bewegung vornehmen können. Offene Reversibilität hat auch eine emotionale Komponente, wenn Sie sich grundsätzlich erlauben, aus jeder Situation, in der Sie sich befinden, jederzeit herausgehen zu können und herausgehen zu dürfen. 4. Offene Zentrierung: Damit ist eine atmende Verankerung im Körperzentrum bzw. im Bereich des Körperschwerpunktes gemeint. Dafür brauchen sie das sensorische Gefühl einer elastischen und in der Atmung beweglichen Bauchmuskulatur. Offene Zentrierung meint, dass das Körperzentrum geöffnet sein soll und nicht kontrahiert. Alle Bewegungen, egal von wo aus sie initiiert werden, sollen in Kontakt mit einem offenen, atmenden Körperzentrum erfolgen und werden in diesem gleichzeitig ausbalanciert. Auch dies ist nicht ein feststehendes Gefühl, das sie haben und besitzen können, sondern ein variables sensorisches Gefühlsspektrum, welches sich je nach Situation immer wieder neu und frisch ereignet. 5. Frei fließende Atmung: Atmung ist eine Ganzkörperfunktion und ein sensorisches Gesamtkörper-Bewegungs-Gefühl. Keine einzige Stelle des Körpers ist davon ausgenommen. Ganz praktisch empfehle ich Ihnen: Atmen Sie eher wie eine Katze oder ein Affe. Ich sage das, um klar zu machen, dass Ganzkörperatmung Elastizität in der Gesamtmuskulatur benötigt. Frei fließende Atmung ereignet sich in einem variablen sensorischen Gefühlsspektrum, welches sich je nach Situation unterschiedlich und immer wieder neu verkörpert. Eine große gefühlsmäßige Herausforderung kann dabei für MusikerInnen die Tatsache sein, dass der Körper bei frei fließender Atmung permanent seine Form variiert. In der Einatmung schwingen alle Körperräume auf, in der Ausatmung schwingen sie wieder zurück, um wieder aufzuschwingen... Das Spektrum kann hier, je nach Situation, von sehr weit und expansiv bis subtil und sanft öffnend gehen. Unerlässlich ist dafür das sensorische Gefühl, dass der Boden den gesamten Körper hält, und nicht, dass man sich am Körper festhält. Damit schließt sich der Kreis zu Punkt 1. "Variabler Kontakt mit dem Boden". Alle fünf sensorischen Marker sind offensichtlich und subtil miteinander verbunden. Copyright Januar 2021, Thomas Lange www.resonanzlehre.de Kontakt: Thomas Lange thl@resonanzlehre.de |
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