Thomas Lange |
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"Wahrnehmungsklarheit ist die Basis für Vertrauen beim Musizieren." Dieses Interview mit Thomas Lange wurde im Juli 2013 von der niederländischen Bratschistin Yanna Pelser im Rahmen ihrer Masterarbeit durchgeführt. Sie hat sowohl ihre Bachelorarbeit als auch ihre Masterarbeit zum Thema "Resonanzlehre, Angewandte Musikphysiologie" verfasst. Aufgrund ihrer Detailkenntnisse der Materie geht dieses Interview vertiefend auf Inhalte der Resonanzlehre ein. Dabei werden auch Inspirationsquellen und Themen wie Üben, Auftrittsnervosität und allgemeines Bewegungslernen angesprochen. PDF-Version zum Herunterladen. Yanna Pelser: Was war der Grund die Resonanzlehre zu begründen, und wie hat sich die Entwicklung der Lehre aufgebaut, bevor du anfingst Resonanzlehre zu unterrichten? Und was hat dich dabei inspiriert? Thomas Lange: Während meines Studiums, als ich 20 war, hatte ich eine Sehnenscheidenentzündung an beiden Armen, und ich konnte nicht mehr Geige spielen. Ich musste ein Jahr richtig pausieren. Dann habe ich gemerkt, dass mein Lehrer, der ein sehr berühmter Geigenlehrer war, mir nicht helfen konnte. Dann bin ich zu verschiedenen ärzten, vor allem zu Orthopäden, zu Heilpraktikern und zu Akupunkteuren usw. gegangen, auch diese konnten mir nicht helfen. Danach habe ich intensiv Alexandertechnik gelernt, und das hat dazu geführt, dass ich schon mal wieder anfangen konnte zu spielen. Das heißt, ich hatte immer noch Schmerzen, aber ich konnte mit Schmerzen schon üben. Dann habe ich aber nach einiger Zeit gemerkt, dass erstens die Alexandertechnik nicht in der Lage war, mich von meinem Schmerzen zu befreien, und zweitens die Alexandertechnik nicht musikalisch orientiert ist. Zu der Zeit habe ich ziemlich klar gesehen, dass einerseits die Musikpädagogik nicht körperlich genug orientiert war, der Körper wurde nicht adäquat in die Musikpädagogik mit einbezogen. Anderseits fehlt den verschiedenen Körpertechniken, wie asiatischen Kampftechniken, Feldenkrais und Alexandertechnik der musikalische Ansatz. Und das ist das Neue an der Resonanzlehre: Die Verbindung von Klangarbeit und Bewegungsarbeit. Ich habe damals, wenn ich zu Hause gespielt habe, gemerkt, dass wenn mein Klang resonanzreich ist, die Schmerzen nach und nach verschwinden. Dann habe ich ausprobiert, wie ich einen resonanzreichen Klang produzieren kann. Welche Bewegungen sind dafür wichtig? Inspiriert haben mich asiatische Kampftechniken, insbesondere Aikido und Tai Chi, wo in der Regel der Körper vom "Hara" oder "Dantian", einem energetischen Körperzentrum, aus bewegt wird. Dieses Zentrum liegt ziemlich genau da, wo der Körperschwerpunktbereich ist, mit dem wir in der Resonanzlehre umgehen. Hier hat eine Klärung stattgefunden, die das Körperzentrum als Gleichgewichtsbereich für das Musizieren praktikabel macht. Was ich dann komplett selbst entwickelt habe ist dieses durchstrukturierte, über den gesamten Körper verteilte Schwerpunktmobilé. D.h. der gesamte Körper wird über den Körperschwerpunkt bewegt, Teile des Körpers, z.B. die Arme, über die entsprechenden Teilschwerpunkte. Der Schwerpunkt des Armes liegt etwas vor dem Ellbogen, von der Hand aus gesehen. Der menschliche Körper hat eine bestimmte Menge an Segmenten und Gelenken, daraus ergibt sich auch eine bestimmte Menge an Teilschwerpunkten. Diese existieren tatsächlich im menschlichen Körper, sie sind keine Ideen oder Vorstellungen, sondern Realität. Zu dieser Realität habe ich eine entsprechende Bewegungspraxis entwickelt. Dann gibt es noch eine Inspirationsquelle, und das ist der ungarische Pianist György Sébök, der an der HdK in Berlin in den 80/90er Jahren eine Gastprofessur inne hatte. Sébök hat einen sehr körperlichen Klavierunterricht gegeben und ich habe gesehen, dass er sich von alleine schon dreidimensional ausbalanciert bewegt hat. Er hat sich so souverän bewegt, dass er alles am Klavier völlig mühelos und organisch spielen konnte, und das in einer wunderbaren musikalischen Qualität. über 10 Jahre habe ich bei seinem Unterricht zugehört, und er wusste um sehr viele Dinge, aber er hat es nicht strukturell unterrichtet. Ich habe ihn auch mal gefragt: "Wenn Sie Klavier spielen, habe ich das Gefühl, dass Sie jede Bewegung mit dem Körperschwerpunkt vergleichen?" Da hat er geantwortet: "Genau, das ist der Fall." Er selbst hat jedoch nicht die einfache Struktur für die Funktionsweise von dreidimensional ausbalancierten Bewegungen offengelegt. Das ist dann durch die Resonanzlehre passiert. YP: Es ist eigentlich jedem Menschen bekannt, dass sich eine Masse am leichtesten über ihren Schwerpunkt bewegen lässt. Wie kommt es dann, dass niemand, bevor du das eingeführt hast, das auf Körperbewegungen angewandt hat? ThL: Das ist für mich auch erstaunlich. Es ist wahrscheinlich zu einfach. Ich bin einmal in Berlin durch eine Fußgängerzone gelaufen, und habe unmittelbar gesehen, dass jeder Mensch Bewegungen von einem bestimmten Bereich aus führt. Also, wenn jemand einen Arm hebt, hat er immer, bewusst oder unbewusst, einen Punkt oder Bereich des Armes, von dem aus die Bewegung geführt wird. Viele heben den Arm entweder dominant von der Schulter aus, oder dominant von der Hand aus. Man trifft kaum Menschen, die die Bewegung vom Armschwerpunkt aus führen. Ich habe einfach die Bewegungen von anderen Menschen beobachtet. YP: Wie kam es dann dazu, dass du angefangen hast Resonanzlehre zu unterrichten? ThL: Als ich selbst wieder ohne Schmerzen spielen konnte, bin ich wieder in den Musikbetrieb eingestiegen und Kolleginnen und Kollegen von mir fragten mich, wie ich wieder gesund geworden bin. Als ich sagte, dass ich selber eine Art und Weise gefunden hatte schmerzfrei zu spielen, sind ein paar Musiker mit Schmerzen zu mir gekommen, auch mit anderen Instrumenten. Da habe ich z.B. die Fragestellungen eines Querflötisten lösen können, und so habe ich gemerkt, dass die Grundprinzipien der Resonanzlehre auf alle Instrumente transferierbar sind. Und dann gab es irgendwann den Moment, wo ich gesehen habe, dass es einen großen Bedarf gibt nach dieser Verbindung von Klangarbeit und Bewegungsarbeit. Dass die Resonanzqualität des Klanges etwas über deinen muskulären Zustand beim Musizieren aussagt, ist ein klanglich-musikalischer Fokus und damit sehr ansprechend für Musikerinnen und Musiker. YP: Die Bewegungsart der Resonanzlehre ist auf jeden Fall neben einer musikalischen Art von Bewegung auch die müheloseste Art von Bewegung, weil man sich immer über die Schwerpunkte bewegt. Hast du irgendwann die Resonanzlehre angewandt bei Tänzern oder Sportlern oder in anderen Bereichen von Bewegung? ThL: Ich habe etwas mit Tänzern, Sprechern und Theaterschauspielern gearbeitet. Noch nicht mit Sportlern, aber ich denke dass es sehr gut funktionieren könnte in manchen Sportbereichen, z.B. Marathonlauf, Golf, Tischtennis, eventuell sogar im Sprint. Es gibt noch ganz viele Anwendungsbereiche, die überhaupt noch nicht ausprobiert worden sind. Wiebke, eine Resonanzlehrerin aus der Resonanzlehre Ausbildungsgruppe, war gerade bei einem Kurs für Coactive Coaching, also in einer Gruppe, die eher Business-orientiert ist. Es ist in dieser Gruppe sehr aufgefallen, was für eine starke körperliche Präsenz sie hat. Die fragten sie, was sie macht und wollten Unterricht bei ihr nehmen. Mittlerweile hat sie auch schon Kurse in diesem Bereich gegeben. Es ist sehr interessant was passiert, wenn jemand aus dem musikalischen Bereich heraus in einen ganz anderen Bereich mit dieser Präsenz reingeht. YP: Tänzer bewegen sich ästhetisch. Ist die Bewegungsart der Resonanzlehre auch ästhetisch? Können Tänzern etwas damit anfangen? ThL: Das müssen letztlich die Tänzer beantworten. Es gab ein ganz interessantes Erlebnis, ich habe ein paar Jahre mit dem Jazzpianisten Jens Thomas gearbeitet. Jens Thomas war Artist in Residence am Theater in Bochum, und da ist er einen Abend aufgetreten mit Klavierimprovisationen und einem Tänzer vom Folkwang-Ballett. Die kamen beide auf die Bühne und es war einfach zu sehen, dass Jens Thomas, der zu dieser Zeit recht regelmäßig Resonanzlehre-Körperübungen machte, in der Bewegung viel präsenter war als der Tänzer, der diese akrobatischen Sachen machte. Das war wirklich verblüffend. Wenn Du mit professionellen Tänzern sprichst, sagen dir viele, dass es ganz normal ist, dass sie verspannt sind und Schmerzen haben. Die Art von Bewegung der Resonanzlehre hat eine unauffällige ästhetik, eine gewisse Eleganz und Freiheit. Emotionen können frei im Körper fließen. Ich finde das einen wichtigen Teil dieser ästhetik, dass Emotionen einfach und direkt transportiert werden. Ich kann noch eine witzige Anekdote erzählen. Ein Klient von mir, der Klavierkabarettist Bodo Wartke, war auf einer sehr teuren Schauspielschule in London. Dort lernte er bei einem Lehrer die sogenannte "Curve-Bewegung". Dieser Lehrer arbeitete Monate an einer Armbewegung, die organisch, elegant und rund sein sollte. Und dann kam Bodo Wartke in den Kurs, und der Lehrer sagte: "Machen sie mal die 'Curve' vor." Bodo Wartke hat einfach den Arm aus dem Armschwerpunkt gehoben, was er in der Resonanzlehre gelernt hat. Da ist dem Lehrer die Kinnlade runtergefallen, und er hat verblüfft gefragt: "Wie machen sie das? Hier hat das noch nie jemand in solch einer Qualität angeboten, und ich habe selbst viele Jahre gebraucht bevor ich das konnte!" Tatsächlich, bei Führung des Armes aus dem Armschwerpunkt, und alles andere ist freigelassen, gibt es ein bestimmtes Bild bzw. eine bestimmte Reaktion im Arm. Alles fließt und ist durchlässig, und das hat schon eine gewisse Eleganz. YP: Erkennst du Fehler oder Probleme bei deinen Klienten, die du selber auch gehabt hast? Was sind die typischen Probleme im Allgemeinen? ThL: Ich denke nicht in den Kategorien von Fehlern oder Problemen. Für mich gibt es Fragestellungen, die nach und nach verschwinden dürfen. Eine verspannte Schulter z.B. ist kein Problem, sondern eine Fragestellung. Die Fragestellung lautet, wie kann ich die Schulter so bewegen, dass keine Verspannungen in der Schulter entstehen? Die Antwort ist eine Bewegungspraxis. Die Praxis besteht darin, es sich zur Gewohnheit zu machen, die Schulter über den Schulterschwerpunkt zu bewegen. Dann verschwindet auch die Fragestellung. Strukturelle Elemente, die mir immer wieder, entweder einzeln oder in den verschiedensten Kombinationen, begegnen, kann ich folgendermaßen beschreiben. Von unten angefangen sind das: Ein Mangel an Kontakt zwischen Fußsohle und Boden, undurchlässige Knie, ein blockiertes Körperzentrum mit nach innen gezogener Bauchmuskulatur, eine eingeschränkte Drehbarkeit der Wirbelsäule, feste Schultern, ein fixierter Kopf und eine stockende bzw. flache Atmung. Wenn der Atem nicht frei fließt, ist in der Regel eine etwas zurückgezogene Bauchmuskulatur und Druck auf Kiefer und Zunge zu beobachten. Und alles, was ungünstige Bewegung ist, hat in der Regel ein kontraktives Element in der Bewegung. Das heisst, der Körper wird so bewegt, dass die Körperräume enger werden. Im Klangbild erscheint dann in der Regel ein resonanzarmer Klang. In der Resonanzlehre machen wir das Umgekehrte: Wir bewegen uns so, dass sich die Körperräume permanent öffnen, dass sie aufschwingen, und wir produzieren einen resonanzreichen Klang. Es ist auch manchmal so, dass sich Spieler ungünstig bewegen, aber doch einen qualitativ relativ hochwertigen Klang haben. Dann sagt das etwas darüber aus, wohin sie noch mit ihrer Klangqualität gehen können, wenn sie sich mehr in Resonanz bewegen. YP: Das sind die körperlichen Elemente. Gibt es auch psychologische Elemente, die du immer wieder bei Klienten siehst? ThL: Ja, eine Sache, die ich immer wieder sehe, ist die Kritik am eigenen Spiel, dass Spieler sich während des Spielens kritisieren. Und ich bin der Meinung, dass das nicht ins Spiel rein gehört. Wenn überhaupt Kritik, dann sollte diese ausserhalb des Spielprozesses passieren. Um diese störende Art von Selbstbeobachtung zu beschreiben, hole ich etwas aus und gehe einen Schritt zurück in die Wissenschaft: 1927 hat Heisenberg die sogenannte Unschärferelation entdeckt. Wenn man eine Sache bzw. ein Objekt beobachtet, z.B. im atomaren Bereich, verändert sich nur dadurch, das sie beobachtet wird, die Sache. Und dann hat er noch festgestellt, dass durch verschiedene Arten von Beobachtung die Sache sich auf verschiedene Weise verändert. Das ist ein großes Thema in der Quanten-Physik. Für mich gilt das aber eigentlich für jeden Lebensprozess. Sobald ich eine Sache beobachte, verändert sich die Sache selbst. Deswegen braucht man beim Musizieren das, was ich eine Feldwahrnehmung nenne. Das heisst, man sieht ein Feld, mit einem Musiziervorgang darin, und man sieht sich selbst auch in diesem Feld agieren und wie man auf den Musiziervorgang einwirkt. Die besonders störende Art von Selbstbeobachtung, die kritisch untersuchende Selbstbeobachtung, lässt den Prozess stehen, obwohl die Musik eigentlich immer weiter fließen möchte. Das verhindert sozusagen das Basiselement von Musik, dass der Klang immer weiter fließt. Also: Kritik verhindert Resonanz. YP: Soll der Geist beim Musizieren still sein? ThL: Ich bin der Meinung, dass sowohl die Musik als auch der Musiziervorgang dynamisch beweglich sind, deswegen sollte der Geist auch so beweglich sein wie die Sache selbst. Viele meinen, dass beim Musizieren der Geist ruhig sein soll. Nein, der Geist soll synchron mit der Sache sein, so beweglich wie die Musik selbst sein. Die Ruhe oder Stille, von der manche sprechen, ist immer inmitten des Geistes, egal ob dieser still oder bewegt ist. Ich mag auch den Satz des Malers Gerhard Richter: "Das Denken beim Malen ist das Malen." Das Denken beim Bratsche spielen ist das Bratsche spielen. YP: Viele Menschen haben die Gewohnheit sich während des Spieles zu kritisieren. Woher kommt das? ThL: Viele Musikpädagogen sagen, dass du ganz akribisch zuhören sollst, damit du alles mitbekommst, was du falsch machst und das dann verbessern kannst. Aber genau dadurch wird dieser Kritiker gross gemacht. Wenn ich als Lehrer z.B. alles zu dir sagen würde, was du dir während des Spielens sagst, würdest du wahrscheinlich aus dem Unterricht rauslaufen! YP: Also es soll keine Kritik geben. Wie verbessert man dann sein eigenes Spiel? ThL: Zunächst mal, in dem man die Intention fallen lässt sein Spiel zu verbessern, und durch die Intention ersetzt sein Spiel zu verändern. Dies geschieht günstigstenfalls durch einen Prozess von Wahrnehmen und Handeln. Kritik ist eine zusätzliche und störende Ebene darin. Kritik hält den Prozess an, und der Prozess soll nicht angehalten werden. Für die meisten Musiker ist es nicht einfach, die Kritik beim Spielen aufzugeben. Ich versuche meinen Klienten zunächst einmal beizubringen, dass sie sich kritisieren dürfen, aber nicht während des Spiels. Da sage ich, dass sie erst spielen sollen, und sich danach kritisieren können. Dadurch wird der Vorgang des Spielens und des Kritisierens zeitlich auseinander gestellt. Man kann dann wahrnehmen, dass man alles, was geändert werden soll, auch nach dem Spielen noch weiß. Das ist ein wertvolles Training, das kann ich nur jedem Musiker empfehlen. Kritik soll nicht in einer Klangsituation ausgeübt werden. Eigentlich braucht man überhaupt keine Kritik, auch nicht nach dem Spiel. Kritik kann ersetzt werden durch einen unmittelbaren Reaktionsprozess von Wahrnehmen und Handeln. YP: Wie lange dauert es für die meisten Klienten sich die dreidimensional ausbalancierte Bewegungsqualität anzugewöhnen? ThL: Das ist ganz unterschiedlich, das hängt von der Art der Motivation ab, das hängt davon ab wie regelmäßig trainiert wird, und das hängt davon ab wie trainiert wird. Wenn man motiviert ist und die übungen täglich qualitativ hochwertig ausführt, gibt es ungefähr nach drei Monaten eine strukturelle Veränderung, und nach etwa einem dreiviertel Jahr kann eine tiefgreifende Internalisierung stattfinden. Aber es ist für jeden so unterschiedlich, dass meiner Erfahrung nach solche Statistikfragen an der Lebensrealität von Menschen vorbei gehen. YP: Bringt das Angewöhnen der neuen Bewegungsqualität änderungen mit sich, abgesehen von den musikalischen und physiologischen Aspekten? ThL: Ja, man denkt und fühlt anders. Der Körper, das Denken und Fühlen haben Einfluss aufeinander, sie sind eigentlich eins. Das Schöne ist, dass man in der Bewegung wahrscheinlich den direktesten Zugriff auf Veränderungen hat, direkter und schneller, als wenn man Denkmuster oder Gefühlsmuster verändern möchte. YP: Kannst du beschreiben, welche änderungen durch die neue Bewegungsqualität für dich selber ganz deutlich zu merken sind? ThL: Manche Fragestellungen, die ich mal gehabt habe, fallen ganz einfach weg. Es gibt mehr Leichtigkeit, mehr Spielerisches. Wenn der Körper in alle Richtungen beweglich ist, kann eine fixe Idee, so ein Brett vor dem Kopf, sich einfach auflösen. Das gesamte Denken wird beweglicher, offener und freier. Alles läuft mehr über dieses Wahrnehmen-Handeln-Prinzip. Ich denke insgesamt weniger nach, und ich habe auch keine Gedankenkarussells mehr. Man ist mit dem Wahrnehmen, Spüren und mit dem unmittelbaren Reagieren beschäftigt: Hören - handeln, Hören - reagieren. Und dieser Filter, dass man alles bedenken muss, darf ja auch wegfallen, damit man auch während man spielt, z.B. im Konzert, sofort reagieren kann. Wenn es gefiltert ist durch Nachdenken, dann ist man zu langsam. YP: Kenny Werner, Autor des Buches "Effortless Mastery", schreibt, dass wenn man von seinem inneren Selbst aus musiziert, man von alleine mühelos musiziert. Was denkst Du darüber? ThL: Das ist eine schöne Theorie, aber wenn die Bewegungsmuster da nicht handwerklich und klanggerecht drauf reagieren können, funktioniert das nicht. Ich bin auch der Meinung, dass ein Zustand oder Platz wie das innere Selbst eine Illusion ist, die auf einem Mentalkonstrukt basiert. Außerdem, einen Platz kannst du verlieren, einen Zustand kannst du verlieren. Auf der Resonanzebene sind die Lösungen überall, innen und außen. Es geht um Reagibilität. Es geht darum sich das zu geben, was man gerade braucht. Interessant ist auch: Wenn man nichts braucht, muss man sich auch nichts geben oder in einem bestimmten Zustand sein. Das kann ja auch mal passieren, und das passiert öfter als viele Musiker es sich erlauben zu merken. Ein wichtiges Ziel für mich beim Musizieren ist zustandsunabhängig zu musizieren. Zustandsunabhängig bedeutet auf das reagieren zu können, was ist. Die Musik wirkt oft auch wenig lebendig, wenn Musiker mit Konzepten wie innerem Selbst oder ähnlichem agieren. Für mich ist ein Kriterium für optimales Musizieren Lebendigkeit! YP: Was könnten allgemeine Gründe für physiologische Probleme beim Musizieren sein? ThL: Das hat mit unserem ganzen allgemeinen Bewegungslernen zu tun. Von Geburt an ist ein Körper/Geist vorhanden, aber sozusagen ohne Bedienungsanleitung. Bewegung ist ansteckend, und die meisten Menschen bewegen sich ungünstig, und deswegen gibt es eine permanente Präsenz von ungünstigen Bewegungen, da wo Menschen auftauchen. Deswegen ist es auch so erholsam in der Natur, weil dort in der Regel wenig Menschen auftauchen. Sobald in der Natur viele Menschen auftauchen, ist es nicht mehr so erholsam. Es hat auch mit unserer Bewegungserziehung zu tun. Es hat damit zu tun, wie unsere Eltern sich bewegen. Und es hat damit zu tun, welche Bewegungsqualität in Gruppen vorhanden ist, in denen wir uns in der Kindheit und Jugend aufhalten. Es gibt sehr wenige, talentierte Menschen, die sich instinktiv günstig bewegen. Du hast Glück wenn dir jemand zeigt, wie du dich günstig bewegen kannst. Ganz interessant ist auch, dass viele Menschen, die sich ungünstig bewegen, keine Schmerzen bekommen. Es gibt unterschiedliche Körper. Bei bestimmten ungünstigen Bewegungsmustern spüren manche Menschen keine Schmerzen, sie fühlen sich nur unkomfortabel und haben Verspannungen. Wenn andere Menschen ähnlich ungünstige Bewegungsmuster ausführen, bekommen sie sofort Schmerzen. Es ist davon abhängig wie schmerzsensitiv jemand ist. Diese Sensitivität ist einerseits eine Crux, wenn du etwas Ungünstiges machst, bekommst du Schmerzen. Anderseits ist diese Sensitivität ein großes Geschenk, weil dein Körper dich ganz direkt darauf aufmerksam macht, wenn du dich ungünstig bewegst. Du wirst sozusagen vom Körper aufgefordert, dich anders und günstiger zu bewegen. YP: Hat es auch mit dem Hören zu tun? ThL: Sicher hat es auch mit dem Hören zu tun. Das Hören passiert ja in einem Körper, und da alle Muskeln des Körpers über das Balanceorgan mit dem Ohr verbunden sind, gibt es auch einen Rückkopplungseffekt aus der Muskulatur zurück zum Ohr. Kurz gesagt, die Qualität des Hörens aus einer verspannten Muskulatur heraus ist deutlich reduziert im Unterschied zur Hörqualität, die innerhalb einer ausbalancierten Muskulatur passiert. YP: Wenn jemand akute Verspannungen oder Schmerzen hat, kannst du eine passive Behandlung der Resonanzlehre anbieten. Was machst du dann? ThL: Ich verstehe mich nicht als Behandler oder Therapeut. Die sogenannte 3D-Bewegungsinduktion, die du hier ansprichst, ist ein Verfahren, welches eine bestimmte Bewegungsqualität von außen in einen Körper hinein gibt, damit dieser eigenständig diese Bewegungsqualität ausführen kann. Es gibt in manchen mediterranen Ländern noch Brunnenpumpen, wo man oben einen Eimer Wasser reingießt, und dann kann diese Brunnenpumpe wieder Wasser schöpfen. Ungefähr so verstehe ich die 3D-Bewegungsinduktion, als Hilfe zur Selbsthilfe. Die 3D-Klangbewegungen, die man selber durchführen kann, gebe ich von außen in den Körper rein. Ich bewege die Menschen über den Körperschwerpunkt und über die Teilschwerpunkte aller Körpersegmente. Das führe ich je nach Bedarf im Stehen oder Sitzen und in verschiedenen Lagen auf einer Liege durch. Ich mache das aber nicht zu häufig und vor allem dann, wenn Klienten sich in zeitlichen Notsituationen befinden. Z.B. es sind Schmerzen im Körper, aber der Musiker hat übermorgen ein wichtiges Konzert. Früher habe ich mehr induziert. Ich habe dann aber gemerkt, dass viele Menschen gerne nur noch "behandelt" werden möchten. Das Interessante an der Resonanzlehre ist, dass du lernst, dich so zu bewegen, dass Verspannungen, Verkrampfungen oder Schmerzen gar nicht erst entstehen. Und dieses ganze "ich bewege mich ungünstig, und dann gehe ich zu einem Physiotherapeuten", das liegt mir nicht. Also die Bewegungsinduktion ist als Unterstützung und Beschleunigung des Selbsthilfeprinzips der Resonanzlehre gedacht. Man kann sich so bewegen, dass man keinen Therapeuten und auch keinen Resonanzlehrer braucht. Die Resonanzlehre-Musikpädagogik hat eine gewisse Körperlichkeit und dabei durchaus auch induktiv bewegende Elemente. Während einer Stunde gebe ich manchmal eine Berührung oder eine Art Anschwung in verschiedene Körperteile. Ich ermuntere die Klienten auch, sich selbst Klangbewegungen zu induzieren. Es gibt ein paar übungen, bei denen man mit einer Hand einen anderen Teil des Körpers im Schwerpunktbereich bewegt. YP: Wie kann ein Resonanzlehrer merken, ob Klienten sich tatsächlich über die Schwerpunkte bewegen, wenn sie die 3D-Klangbewegungen durchführen? ThL: Das ist eine bestimmte Art von Bewegungsqualität, die eine bestimmte Ausstrahlung in den Körper bringt. Ich spüre das in meinem eigenen Körper, aber ich sehe das auch beim Klienten. Da ist eine Gleichmäßigkeit in der Reaktion. Im Körper passiert auch etwas Umfassendes. Der Körperschwerpunkt ist praktisch der Repräsentant des gesamten Körpers, und wenn wirklich von da aus bewegt wird, gibt es auch eine Reaktion im ganzen Körper, und zwar eine lebendige. YP: Was sind wichtige Elemente der Resonanzlehre-Pädagogik? ThL: Was mir gerade in der letzten Zeit stark aufgefallen ist, das ist das resonantische Prinzip im Umgang mit anderen Menschen. Du kannst noch so kompetent sein in der Sache, aber Resonanz heißt, du begegnest den Klienten auf Augenhöhe, es gibt keine Hierarchie. Wenn es eine Hierachie gibt, kann es nicht resonieren. Der Klient in der Resonanzlehre ist kein Objekt, was untersucht oder kritisiert wird. Das finde ich sehr wichtig. Ich war neulich bei einem Casting dabei, wo jemand anderes, ein Sänger, auch gecoacht hat. Der hat inhaltlich eine einigermaßen seriöse Arbeit gemacht, aber die Art wie er mit den Sängern umgegangen ist und sie untersucht hat, das war wie bei einem Zahnarzt, der nach Löchern in den Zähnen sucht. Ich glaube, dass das Prinzip der Resonanz großes Potential birgt, also mitzuschwingen mit dem anderen, und in der Mitschwingung zu spüren, wo jetzt die Möglichkeiten sind und was der andere gerade braucht. Man könnte auch sagen, ein schwingender Spiegel oder Resonanzspiegel. Das ist etwas, was ich zum ersten mal bei György Sébök erlebt habe, wie er zugehört hat in verschiedenen Situationen. Er hat einfach nur zugehört, ohne Kritik, und hat alles resonieren lassen. Trotzdem war er in der Lage, ganz gezielt Veränderungsprozesse in Gang zu setzen. YP: Die Resonanzlehre entwickelt sich immer weiter. Was sind jetzt die neuesten Entwicklungen? ThL: Ja, da gibt es immer wieder kleine Veränderungen in Details bei den Körperübungen. Wir haben z.B. gerade in der Ausbildungsgruppe eine Atemübung modifiziert. Eine Sache, die zur Zeit im Vordergrund steht, ist, dass dynamische Musik einen dynamisch beweglichen Geist braucht. Als Handwerksmittel kann drauf geachtet werden, dass die Musiker nicht ruhig und unbeweglich sind im Kopf, dass alles synchron läuft, dass der Geist nicht langsam ist und die Musik beweglich. Dann gibt es noch ein sehr schöne neue übung für Bodenkontakt, entwickelt von einem Mitglied der Ausbildungsgruppe. Es ist erstaunlich, dass es so vielen Musikern wirklich schwer fällt, das Körpergewicht über die Füße an den Boden abzugeben. Mir macht es großen Spaß, dass Leute, die sich intensiv mit der Resonanzlehre beschäftigen, auch neue, passende übungen entwickeln. Zur Zeit steht noch ein weiteres Thema im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, das ist das Thema Musikpädagogik und Humor. Ein ganz grosser Teil der Musikpädagogik ist meiner Meinung nach zu ernst. In der Ausbildungsgruppe trainieren wir z.B. Feedback mit Humor zu verknüpfen. Eine beliebte Inspirationsquelle ist dabei für mich der bildende Künstler Marcel Duchamp. Von ihm stammt der schöne Satz: "Es gibt keine Lösung, weil es kein Problem gibt." Er wurde auch mal gefragt: "Herr Duchamp, was für Kunstwerke haben sie in den letzten Jahren geschaffen?" Seine Antwort: "Ich habe Schach gespielt und geatmet." Nächste Frage: "Was werden sie in den nächsten Jahren für Kunstwerke schaffen?" Antwort: "Weiteratmen!" YP: Wenn wir Bewegung und Resonanz untersuchen, können wir dabei von der Art und Weise lernen, wie sich sehr junge Kinder bewegen und Musik machen? Und wenn ja, wie? ThL: Je jünger Kinder sind, um so mehr können wir von ihnen lernen, was die musikalische Bewegung anbetrifft. Und ich meine damit alles, was unter zwei, drei Jahren ist. Ich war neulich noch bei einem Freund zu Besuch, das kleine Kind war gerade mal 6 Wochen alt. Hier können wir von einer günstigen Organisation von Ganzkörperkraft durch Ganzkörperdurchlässigkeit lernen. Kraft wird nicht lokal, sondern gesamtkörperlich organisiert. Und je größer der Raum ist, auf dem Kraft organisiert wird, um so weniger wird die Beweglichkeit eingeschränkt. Das ist genau das, was wir beim Musizieren benötigen. Und am Stimmklang der kleinen Kinder lässt sich die vorhandene Resonanzqualität des Klanges gut wahrnehmen. Sie können sehr lange schreien ohne heiser zu werden. Was jedoch interessant ist, in diesem Alter spielen Kinder noch kein Instrument. Das beginnt in der Regel erst später. Ein Instrument zu spielen ist also nicht angeboren, es darf gelernt werden. Beim instrumentalen Lernen von sehr jungen Kindern könnte es darum gehen an die oben beschriebene Organisationsweise, die im Säuglingsalter von alleine vorhanden ist, anzuknüpfen, und diese sich als Gewohnheit stabilisieren zu lassen. Für erwachsene Musikerinnen und Musiker kann ich die Nachricht verbreiten, dass insbesondere die Resonanzlehre-3D-Klangbewegungen am Boden eine entsprechende Selbstorganisation ermöglichen, weil diese Art der Selbstorganisation bei Säuglingen auch am Boden erworben wird. Dabei entdecken wir eigentlich etwas, was wir schon als Säugling zur Verfügung gehabt haben. Neu in diesem Lernprozess der Resonanzlehre ist dann, dass die Bewegungen gleich schon auf die Erzeugung von gleichmäßig schwingenden Schallwellen ausgerichtet sind, und damit eine leichte Anwendung beim Instrumentalspiel oder Gesang möglich ist. YP: Wenn wir unseren Fokus darauf ausrichten, einen so resonanzreichen Klang wie möglich zu produzieren, reagieren unsere Bewegungen dann von selbst darauf? ThL: Ja, auf jeden Fall: Je resonanzreicher der Klang, um so müheloser und effektiver die musikalische Bewegung. Wenn du es schaffst, deinen Klang nur etwas resonanzreicher zu produzieren, reagieren die Muskeln mit einem Prozess von Ausbalancierung darauf. Und du kannst aus dieser veränderten Muskulatur heraus leicht einen noch resonanzreicheren Klang produzieren, der dann die Muskulatur noch günstiger ausbalanciert, und so weiter... YP: Welche Sichtweise hat die Resonanzlehre in Bezug auf das Thema üben? ThL: Das Thema üben ist ein weites Feld. Zunächst mal denke ich, dass es optimal ist, wenn man regelmäßig die 3D-Klangbewegungen der Resonanzlehre vor dem üben durchführt. Dann ist man schon beim Beginn des übens in einer klanggerechten, ausbalancierten und damit musikalisch reagiblen Verfassung. Damit kann man eine enorme Menge an übezeit sparen. Die Qualität der körperlichen Verfassung entscheidet in einem großen Maße über die Qualität des übens. Dann ist für mich das Thema Improvisation beim üben wichtig. Es ist für mich das einfachste Mittel, um sich am Instrument oder mit der Stimme warmzuspielen. Dadurch kann man sehr schnell zum eigenen optimalen Klang kommen. Das Handwerk folgt dem Klang. Ist der Klang optimal, ist auch das Handwerk optimal. Auch beim üben von Stücken kann ein Improvisando-Modus sehr hilfreich sein. Eigentlich geht es beim üben darum, das musikalische Material mit der eigenen Hör- und Bewegungswahrnehmung zu verknüpfen. Dies darf zunächst mal in einem Tempo passieren, welches für den jeweiligen Spieler angemessen ist. Wenn die Verknüpfung mit der eigenen Wahrnehmung wirklich realisiert wird, ist es z.B. leicht, Tempovarianten durchzuführen und auch schneller zu spielen oder so schnell zu spielen, wie man möchte. Interessant dabei ist, dass sich manche Passagen leichter in einer schnelleren Geschwindigkeit mit der Wahrnehmung verknüpfen lassen. Das gibt es auch in anderen Lebenssituationen: Wasserskifahren z.B. sollte eine bestimmte Mindestgeschwindigkeit haben, sonst säufst du ab. Ein wichtiger Aspekt des übens besteht für mich darin, sich beizubringen, das Spiel während des Spielens verändern zu können. Das ist die Situation im Konzert oder bei Probespielen etc. Man hat nur eine Möglichkeit. Je größer der Spielraum für Veränderungen während des Spielens ist, um so souveräner ist man im Konzert. Letztlich besteht die Kunst des übens darin, sich das zu geben, was man gerade braucht. Hier geht es um Mittel-Dosierung. Noch ein Beispiel zur Verdeutlichung aus dem Lebensalltag: Wenn Du Kopfschmerzen hast, nimmst Du vielleicht eine Aspirintablette. Aber jetzt jeden Tag eine Aspirintablette zu nehmen ist absolut ungünstig. Viele Musikerinnen und Musiker machen aber genau das, ein Mittel, das einmal funktioniert hat, so lange zu wiederholen bis es nicht mehr wirkt oder sogar schädlich ist. Ein interessanter Aspekt des übens ist noch, dass viele Musiker hinter "Wow-Gefühlen" herlaufen. Ein "Wow-Gefühl" entsteht dann, wenn ich z.B. in einer Unterrichtsstunde oder beim üben einen besonders weiten Schritt von einer ungünstigen Vorgehensweise zu einer günstigen Vorgehensweise durchgeführt habe. Musiker möchten gerne, dass sich dieses "Wow-Gefühl" wiederholt. Was machen sie also? Sie bringen sich in eine ungünstige Verfassung, um dann wieder in eine günstige Verfassung zu kommen. So kann man viel Zeit beim üben verbringen mit einer gut gemeinten Intention, aber ohne substanzielle Entwicklungen. YP: Wie ist die Vorgehensweise der Resonanzlehre in Bezug auf das Thema Auftrittsnervosität bzw. Lampenfieber? ThL: Auftrittsnervosität von Musikerinnen und Musikern lässt sich an folgenden Merkmalen erkennen: Die Musiker spüren den Boden nicht mit ihren Füßen. Sie spüren nicht ihr Eigengewicht. Die Bauchmuskulatur ist nach innen kontrahiert, das hat zur Folge, dass der Körper dezentriert ist, das Zentrum rutscht nach oben Richtung Brustkorb. Die Atmung fließt nicht frei. Insgesamt ist die Bewegungsqualität so, dass die Räume im Körper sich verengen. Die Wortwurzel von Angst ist Enge. In der Resonanzlehre drehen wir diesen Prozess um. Wir lassen die Musiker lernen, dass folgendes zu einer selbstverständlichen Gewohnheit wird, auf die man nicht extra achten muss: Der Kontakt der Fußsohlen zum Boden kann jederzeit gespürt werden. Das Eigengewicht des Körpers kann jederzeit wahrgenommen werden. Die Bauchmuskulatur ist gelöst, dadurch kann der Körper sich leicht zentrieren. Die Atmung fließt frei. Die allgemeine Bewegungsqualität ist so organisiert, dass der Körper in allen räumlichen Dimensionen aufschwingen kann. So wird aufschwingende Weite und Offenheit zu einer alltäglichen Gewohnheit. Auftrittsnervosität kann zwar immer noch auftauchen, sie findet aber kein muskuläres Muster vor, wo sie sich verkörpern kann. Sie geht dann weiter zum nächsten Musiker, es sind genügend da, die ein kontraktives Bewegungsmuster verkörpern. YP: Haben Auftrittsnervosität und Spielblockaden ihre Wurzel in einem Mangel an Selbstvertrauen? Ist Mangel an Selbstvertrauen ein Thema in der Resonanzlehre? ThL: Vertrauen ist ein Thema in der Resonanzlehre, aber nicht Selbstvertrauen. Du brauchst kein Selbstvertrauen, um qualitativ hochwertig zu musizieren. Du brauchst Vertrauen. Was ist der Unterschied zwischen Selbstvertrauen und Vertrauen? Selbstvertrauen bezieht sich auf die eigene Person. Die Person ist so wandelbar, das wissen wir alle, dass das, worauf vertraut werden soll eigentlich immer etwas unwägbar ist. Vertrauen bezieht sich auf den Kontakt mit der Umwelt und kann an den Nahtstellen zwischen dem Körper und der so genannten Außenwelt gespürt werden. Was da zu spüren ist, soll stabil und verlässlich sein, also nicht so wandlungsanfällig wie die menschliche Psyche. Du findest das Vertrauen im Stehen im Kontakt zwischen den Fußsohlen und dem Boden. Im Sitzen kommt noch ein zweiter Kontaktbereich, ein zweiter Boden dazu, das ist die Spürung zwischen Gesäß und Stuhlboden. In diesen Kontaktbereichen findest Du das Vertrauen. Eine Schlüsselwahrnehmung kann dabei sein: Der Boden ist fester als der Körper. Wieso haben so viele Musikerinnen und Musiker so wenig Vertrauen beim Spielen? Weil sie das Vertrauen in sich selbst suchen, und nicht zwischen dem Körper und dem Boden. Man sagt ja auch, wenn es psychologisch desaströse Situationen beim Spielen gibt: Es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Den Boden zu spüren bringt Wahrnehmungsklarheit. Wahrnehmungsklarheit ist die Basis für Vertrauen beim Musizieren. YP: Vielen Dank für das Gespräch. ThL: Vielen Dank für die inspirierenden Fragen... |
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